Entspannt sitzt Siegfried Dobel mit seiner Gitarre neben dem Altar, vor ihm das Liederbuch. Hier finden sich rund 30 Schlager – Gottesdienstschlager, die auswendig und inbrünstig von allen im Raum mitgesungen werden. Er beginnt, die Töne des ersten Liedes zu spielen. Die 35 Besucher*innen dieser Andacht singen nach Leibeskräften mit ihm. Es ist Mittwoch. Und alle 14 Tage wird im Walpurgishaus Andacht gefeiert. Hier, wo Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen ihr Zuhause haben.
Sichtlich entspannt ist Siegfried Dobel, denn hier ist er frei, hier macht ihn die ehrliche und unmittelbare Kommunikation locker und froh. Freude zeigt sich im Walpurgis-Haus durch lautes Lachen, durch Klatschen, durch Hüpfen. Wut wird gerade heraus geschimpft, Traurigkeit zeigt sich durch unmittelbares Weinen und Schluchzen. Was für ein gutes Beisammensein. „Man weiß hier unmissverständlich, woran man ist“, sagt mir Herr Dobel.
Ich besuche eine der Andachten und erhalte Einblicke in eine besondere Lebendigkeit. Die Andachten folgen einem immer gleichen Konzept, einer klassischen Andachtsliturgie. Sie beginnt mit dem Votum und endet mit einer alten Segensformel. Fürbittengebet, Vaterunser, alles an vordefinierten festen Stellen. Es wird auch ein Agapemahl gefeiert, eine Art Abendmahl, bei jeder Andacht. Für mich, die ich durchaus kenne, dass Andachten heutzutage auch kürzer und freier – also ohne alle alten liturgischen Elemente – sein können, wirklich interessant und ein Perspektivwechsel. Hier ist gerade das gefragt. Auch im anschließenden Gespräch wird deutlich, dass hier im Walpurgis-Hhaus gerade das immer gleiche Gerüst wichtig ist. „Würde einmal kein Agapemahl gefeiert“, sagt Dobel, „dann wären alle total enttäuscht.“
Mich berühren inbrünstiger Gesang, die gut gewählten und einfachen Worte von Siegfried Dobel, der durch die Andacht führt. Mich berührt, dass sich ein Bewohner meldet, damit er zu Beginn sprechen kann: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“ Mich berührt, dass jemand anmeldet, dass er gleich für die Bauern beten will. Ich erlebe die Freude in den Augen derer, die eine Geburtstagskerze bekommen und dass jemand mitten in der Andacht mitteilt, dass er den Segen sprechen wird.
Ich interviewe Siegfried Dobel anschließend und die Umstände eines ganzen Lebens leuchten in diesem Gespräch auf. Umstände, die begründen, warum #ehrenmensch Siegfried Dobel heute hier engagiert ist. Mit seinen nunmehr 72 Jahren ist Herr Dobel schon lange im Walpurgis-Haus bekannt. Er hat es von 1991 bis 2017 selbst geleitet und es in dieser Zeit auch geprägt. Die diakonische Ausrichtung seiner Arbeit bei Perthes nährt sich bei Siegfried Dobel durch frühe eigene Erfahrungen mit dem christlichen Glauben. Seit seinem 10. Lebensjahr kam er durch Einladungen zu einer Sonntagsschule in Kontakt mit Christen, die in seiner Heimat Lüdenscheid missionarisch unterwegs waren. Mit 17 Jahren engagierte sich Siegfried Dobel in der „Teestuben-Arbeit“,Treffpunkt und Ideenschmiede für vielfältige Formate, die junge Menschen einluden, christlichen Glauben in Gemeinschaft zu erleben und sich damit auseinanderzusetzen. Dort, so sagt er es heute, hat er eine bewusste Entscheidung getroffen, dass er in seinem Leben für die gute Nachricht Gottes leben und diese weitergeben will.
„Im Grunde“, so sagt Siegfried Dobel, „liegt in meiner eigenen Prägung der Grund für mein heutiges Engagement im Bereich Gottesdienst und Andach-
ten.“
Es war ihm selbstverständlich, sich weiterhin – auch im Ruhestand – zu engagieren. So ist er beispielsweise im Freundeskreis des Walpurgis-Hauses
Mitglied. Seit zwei Jahren ist er ehrenamtliches Vorstandsmitglied des Arbeitskreises für Menschen mit Behinderungen im Kreis Soest und bis 2015 war er zehn Jahre lang ehrenamtlicher Behindertenbeauftragter im Kreis Soest. Es geht ihm und seinen Mitstreitern um die Umsetzungen der Rechte dieser Menschen. „Es ist immer noch nicht umgesetzt, was seit 2008 in den UN-Konventionen Gesetz ist“. Dobel kämpft für geeigneten Wohnraum, für einfaches Bahnfahren u.v.m. für Menschen mit ihren unterschiedlichen Einschränkungen und ist in diesem Netzwerk mittendrin.
„Er ist unser Musiker, der Mann mit der Gitarre“, heißt es von Bernd Zicholl, dem derzeitigen Einrichtungsleiter des Walpurgishauses. „Es ist super, dass er zu jeder Andacht kommt und musiziert, egal, wer von uns gerade die Andacht hält!“ Regelmäßig übernimmt Siegfried Dobel auch den inhaltlichen Teil der Andacht, wie an dem Tag, als ich zu Besuch bin. Und: „Seit vielen Jahren begleite ich vier Menschen aus dem Walpurgishaus jeden Sonntag in den Gemeindegottesdienst in eine der Kirchen der Emmausgemeinde in Soest.“
Es gäbe viel mehr zu Siegfried Dobel zu schreiben. Sein Engagement in Arbeitskreisen und Vereinen im Kreis Soest ist wichtig, raubt aber auch manche Nerven. Wenn er also im Walpurgishaus unterwegs ist und zur Gitarre greift, dann sieht man ihm an: Hier ist es entspannt, hier ist die Welt unkompliziert.
Danke für Ihr Engagement #ehrenmensch Siegfried Dobel!